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Und sie dreht sich doch? Die Entdeckung der Angelrolle

1662 schrieb ein englischer Abenteurer eines der besten und berühmtesten Angelbücher der Geschichte. Viel bedeutsamer als jede Zeile in diesem Werk ist jedoch ein darin enthaltener Kupferstich.

Robert Venables (1613–1687) zählt zu jenen schillernden Figuren, die nur das 17. Jahrhundert mit seinen Kriegen, politischen Wirren und globalen Entdeckungsreisen hervorbringen konnte. 1648 im Englischen Bürgerkrieg schwer verwundet, wurde er später Gouverneur von Liverpool, war danach als Offizier in Irland, anschließend draufgängerischer Kapitän, dem es 1655 mit einer Handvoll Männern gelang, die Insel Jamaika den Spaniern abzutrotzen, bis er schließlich 1656 degradiert und für ein paar Monate im berühmt-berüchtigten Tower eingelocht wurde. Dieser Karriereknick warf Venables allerdings nicht aus der Bahn, denn bereits 1660 wurde er Gouverneur von Chester, wo er sich 1662 zur Ruhe setzte und sein bis heute berühmtes Angelbuch zu Papier brachte. Vielleicht wäre das Werk mit dem für moderne Leser etwas umständlichen Titel The Experienced Angler, or Angling improved, being a general discourse of angling, imparting many of the aptest ways and choicest experiments for the taking of most sorts of fish in pond or river (Der erfahrene Anger oder verbessertes Angeln. Eine umfassende Abhandlung über das Angeln, welche viele erlesene Methoden und ausgewählteste Köder aufzeigt, die geneigt sind, die meisten Fischarten in Teichen und Flüssen zu fangen) heute in Vergessenheit geraten, wenn es auf seinem Titelblatt nicht eben ein Detail enthalten würde, das Generationen von Anglern bis heute Rätsel aufgibt: Handelt es sich bei dem runden Teil in der oberen rechten Bildecke um eine Angelrolle oder nicht?

Fragen über Fragen

Diese Frage ist alles andere als leicht zu beantworten, denn auf den ersten Blick würde jeder moderne Angler darin eine Multirolle erkennen, doch ist dies in einem Zeitalter vorstellbar, in dem man den Fischen mit Weidenruten und aneinandergeknüpften Pferdehaaren nachstellte? Historiker, die das abgebildete Teil als Rolle identifizieren, verweisen seit langem auf eine Stelle im Buch, in der Venables über das Hechtangeln schreibt, dass man beim Fischen mit Kellen, worunter er wohl Blinker verstand, auf die Unterstützung mittels einer Winde zurückgreifen sollte sowie an der Spitze seiner Rute eine Ring anzubringen hätte, durch den die Schnur laufen soll. Zugleich empfiehlt er aber für das Fliegenfischen auf Forellen nur die doppelte Rutenlänge Schnur und verliert dort kein Wort über eine Winde, obgleich einfache Fliegenrollen, die wir aus dem 18. Jahrhundert kennen, vermutlich schon im 17. gebräuchlich gewesen sein könnten. Wenn die Winde also das ultimative Instrument zur Bezwingung kapitaler Hechte war, warum hat sich diese Erfindung im 17. und 18. Jahrhundert nicht durchgesetzt? In den Texten anderer Angelbücher und auf den vielen Abbildungen jener Zeit sucht man Rollen jedenfalls vergeblich und selbst auf Bildern es 19. Jahrhunderts haben sie Seltenheitswert.

Ein Bestseller des 17. Jahrhunderts

Dass sein Buch noch zu seinen Lebzeiten fünf Auflagen erlebte, lag wohl weniger am rätselhaften Titelkupferstich, sondern hatte eher damit zu tun, dass kein geringerer als der Altmeister des Angelsports schlechthin, Izaak Walton (1593–1683), das Vorwort verfasst hatte. Walton, der selbst zu den spätberufenen Angelbuchautoren zählte und seinen Klassiker The Compleat Angler (Der vollkommene Angler) erst im Alter von 60 Jahren zu Papier gebracht hatte, versicherte den Lesern: „Ich habe viele Bücher über das Angeln gelesen und viel aus ihnen gelernt. Doch habe ich nie ein Buch wie dieses mit all seinem Sachverstand und all seiner Vernunft in Händen gehalten.“ Und in der Tat ist The Experienced Angler nicht allein im Hinblick auf die Frage nach einer funktionierenden Rolle noch heute ein hochinteressantes Buch, denn es hat eine Menge anglerische Tricks und Kniffe zu bieten, von denen mancher moderne Petrijünger meinen könnte, dass es sich um Innovationen unserer Tage handeln würde. So finden darin sich z. B. Beschreibungen des nächtlichen Forellenangelns und viele Tipps zum Fliegenfischen. Ob es sich bei der Rolle vielleicht um eine Dose zur Aufnahme der ebenfalls dort abgebildeten Fliegen handelt?

 

Das Beitragsbild zeigt das Frontspitz der Buchausgabe von 1662.

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