Mit Hühnermist und Seidenraupen. Karpfenangeln historisch
Schon vor über 370 Jahren war das Karpfenangeln eine Wissenschaft für sich und ein Sport für Profis.
„Der Karpfen vermehrt sich großartig und ist von gerissener List. Wegen seines Feingefühls verdient er auch den Namen Fuchs des Süßwasser, denn er ist wahrlich ein Großmeister der Unterwasserpolitik.“ Mit diesen Worten beginnt das Kapitel über Karpfen im 1810 erschienen Klassiker „The Art of Angling or the Compleat Fly-Fisher“ aus der Feder des Briten Charles Bowlker, das zu einem der bedeutendsten Werke in der Angelliteratur des 19. Jahrhunderts werden sollte. Bowlker, der selbst ein Liebhaber der Fischerei auf Lachse, Forellen und Hechte war, erschien es aufgrund seiner Charaktereigenschaften angemessen, den damals als Beute des „kleinen Mannes“ belächelten Karpfen in sein Buch aufzunehmen. Dies war für einen Gentleman-Angler seiner Epoche durchaus unüblich. Sein Werk wäre allerdings auch nicht vollkommen, hätte er den Karpfen unterschlagen, schließlich war Angeln seit dem späten Mittelalter in England ein Volkssport und eine Abhandlung darüber, die bereits im Titel den Anspruch erhob, die Fischwaid als Kunst zu beschreiben, konnte um die Rüsselschnuten keinen Bogen machen. Als eingefleischter Fliegenfischer beließ Bowlker es allerdings bei der Abfassung von Lobeshymen auf Karpfen und fügte lediglich ein paar angeltechnische Gemeinplätze hinzu, wobei er die wehrhaften Fische mit Schleien über einen Kamm schor.
Ein Liebhaber von Süßspeisen
Dass es über die Wasserschweine und ihren Fang durchaus mehr zu berichten gab, wusste gut 150 Jahre vor Bowlker bereits Izaak Walton, der als Übervater des Angelsports in die Geschichte eingehen sollte und zum Thema Köder dasjenige zu Papier gebracht hatte, was noch heute für die Rezepturen von Boilies gilt: „Was den Teig angeht, so gibt dafür fast so viele Arten, wie Medikamente gegen Zahnschmerzen. Es sind aber zweifellos die süßeren, nämlich die aus Zucker oder Honig, die am besten sind.“ Walton wäre nicht der Angelpapst schlechthin geworden, hätte er sich mit solchen Null-Acht-Fünfzehn-Weisheiten zufrieden gegeben. Er wusste seinen Lesern durchaus einen weiteren Tipp mit auf den Weg zum Angelplatz zu geben: „In Weihern füttert man diesen Teig am besten zusammen mit Kuh- oder Hühnermist an.“ Zwar erläutert er diese recht eigenwillige Kombination nicht weiter, doch kommt es modernen Lesern recht seltsam vor, dass den von ihm als Königinnen der Gewässer bezeichneten Karpfen solches Futter als verlockend und bekömmlich angeboten wurde.
Das Englische Gras
Aber nicht allein bei der Auswahl der passenden Köder folgten Karpfenangler bereits im 17. Jahrhundert ihren ganz eigenen Nasen; auch zum Gerät hatten sie persönliche Vorstellungen und rüsteten nach der Devise „das Beste ist eben gut genug“ auf. Als Vorfachmaterial kam deshalb seit Anfang des 19. Jahrhunderts nur Englisches Gras zwischen die Pferdehaar-Hauptschnur und den mit dem Teig beköderten Haken. In den 1850er Jahren schrieb der damals bekannteste deutsche Angelbuchautor Baron von Ehrenkreutz: „Was das sogenannte ‚Englische Gras’ eigentlich sei, war bis jetzt ein Geheimnis und man hatte viel darüber gefabelt; unter andern war man der weitverbreiteten Meinung, daß es aus den Därmen des Maulwurfs gefertigt werde.“ Und er belehrte seine Leser: „Das Englische Gras ist das Produkt der Seidenraupe. Nachdem diese nämlich sich eingesponnen, wird sie aus dem Coccon herausgenommen und 24 Stunden in scharfen Weinessig eingelegt. Nach dieser Zeit wird man ein Gespinnst in Form eines kleinen Vogeleis finden, das sie von sich gegeben hat; es wird dies nun abgewickelt und durch Streichen mit Gummi-Elasticum wird demselben die Stärke und Geradheit gegeben. Ein solcher Faden, der so klar und weiß wie Glas ist, hat gewöhnlich die Länge von 3/4 Ellen und ist so stark, daß man ein Gewicht von 8 bis 10 Pfund daran hängen kann. (…) Das meiste Englische Gras, das ‚Seidengras’ passender benannt werden sollte, bekommen die Engländer aus Italien, denen wir es bis jetzt sehr theuer bezahlen mußten. Jetzt können wir es uns nun aber selber machen.“
Nicht nur gediegene Ködermixturen und Vorfächer aus merkwürdigen Gespinsten können als Konstanten in der Karpfenangelei auf eine recht kuriose Geschichte zurückblicken, auch eine andere Gesetzmäßigkeit hat sich seit den Tagen Izaak Waltons nicht geändert: „Wenn Sie auf Karpfen fischen, müssen Sie ein hohes Maß an Geduld aufbringen. Ich kenne einen sehr guten Karpfenangler, der sechs Stunden pro Tag an einen Fluss fischt und oft drei oder vier Tage hintereinander vergeblich auf einen Biss wartet.“
Karpfen galten lange als Wasserschweine, die sich von Kanalisationsabfällen ernährten. Kein Wunder, dass man sie mit Mist anlocken wollte, wie auf dieser französischen Zeichnung aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.