|

Standesdünkel und Regulierungseifer. Die Anfänge des Streetfishings

Ob in Paris, Amsterdam oder Hamburg: Streetfishing ist aus dem urbanen Raum nicht mehr wegzudenken. Dass Angler ihre Passion dort schon vor 150 Jahren ausübten und dabei argwöhnisch beäugt wurden, ist (fast) in Vergessenheit geraten.

Wenig geeignet zur Erweckung eines günstigen Urteils beim großen Publikum sind die in der Nähe unserer Großstädte an den dort fischereilich schlecht beschaffenen Wasserstraßen sich zeigenden ‚Angler’, nach welchen der Laie so oft alle Sportfischer einzuschätzen geneigt ist. Sie fangen nichts Nennenswertes, sie sehen meist recht zweideutig aus, sind häufig noch halbwüchsige Jungen, lassen mit Recht das Fehlen gesetzlicher Berechtigung zur Fischerei vermuten und üben mit primitivsten Geräten nach längst veralteten Methoden, dafür aber mit großem Selbstbewusstsein, nur die stumpfsinnigste Abart der Grundangelei aus.“ Mit diesen harschen Worten plädierte der in Deutschland als Altmeister des Sportfischens verehrte Max von dem Borne vor rund 150 Jahren das jugendliche Angelvergnügen, das wir heute als Streetfishing kennen. Von dem Borne übersah in seinem Standesdünkel die beklemmende Tatsache, dass die damaligen Straßenangler keineswegs nur zum Zeitvertreib zur primitiven Angel griffen, sondern dies in den von Armut und Not bitter gebeutelten Metropolen auch taten, um sich ein paar Fische in die Pfanne hauen zu können. Die frühen urbanen Streetfishing-Kids waren also trotz ihres „großen Selbstbewusstseins“ keine reinen Sportfischer, sondern Kochtopfangler im wahrsten Sinne des Wortes.

Verpönte Köder

Noch schärfer als Max von dem Borne. kritisierte sein österreichischer Zeitgenosse Leopold Zeiler die von Unberufenen (und damit auch Kindern und Jugendlichen) ausgeübte Angelfischerei mit natürlichen Ködern, denn für ihn kam einzig und allein das Fliegenfischen an in ländlicher Idylle gelegenen Gewässern in Betracht und durfte Sportfischen genannt werden. In seinem 1873 erschienen Buch „Gründlicher Führer in die Angelkunst“ beklagte er: „Wir armen Angelfreunde sind in Wirklichkeit nur gehetzte Abenteurer, die berufen scheinen, sich mit den Brosamen zu begnügen, die uns unberufene Frevler und der Vandalismus zukommen lassen. Wir leben in einem Zeitalter, welches unserer Liebhaberei abhold ist, im Gegensatze zu unseren Nachbarstaaten, die mit weisen und strenge gehandhabten Fischereigesetzen gesegnet sind. Es sind daher unsere Fischwässer, mit wenigen Ausnahmen, fischarm. Die mißverstandenene Freiheit aller Staatsbürger, der Eigennutz, die wilde Lust zur Freibeuterei, rohe Zerstörungssucht und dergleichen unsaubere Dinge haben die Oberhand; wohin wir uns zu retten suchen, überall finden wir die Spuren der Anarchie und Gesetzlosigkeit.“

Das von Zeiler gelobten Nachbarstaaten waren vor allen Dingen die seit der Reichsgründung unter der Pickelhaube vereinten deutschen Länder, wo wohlhabende Adlige à la von dem Borne und bornierte Briten wie der bis heute als Vater des deutschen Fliegenfischens verehrte John Horrocks den Rechten von Fischen (insbesondere Salmoniden) einen höheren Stellenwert beimaßen als denen von Kindern und Jugendlichen. Horrocks schrieb in der Vorrede seines 1874 erschienen Werkes „Die Kunst der Fliegenfischerei auf Forellen und Aschen in Deutschland und Oesterreich“: „Beglückt würde ich sein, könnte ich dazu beitragen, daß wenigstens in den deutschen Flüssen, welche die Salmoniden bewohnen, diese edlen Fische nur mit der Fliegengerte gefangen würden.“ Und meinte mit diesen Zeilen nichts anderes, als ein Angelverbot für arme Leute und erst recht für Kinder.

Gesetzliche Bestimmungen

Wie in dieser Epoche kaum anders zu erwarten, waren die gesetzlichen Bestimmungen zur Ausübung der Fischwaid so verfasst, dass sie den Interessen junger Leute völlig entgegenstanden, denn ihnen wurde erst gar keine Angelerlaubnis erteilt. Wie penibel man in Preußen mit der Ausstellung von Fischereierlaubnisscheinen (Angelkarten) war, wird wohl am deutlichsten aus der Tatsache ersichtlich, dass Strafgefangenen nach ihrer Entlassung für die Dauer von fünf Jahren kein Schein ausgestellt werden durfte.

Strenges Durchgreifen wegen geringster Ordnungswidrigkeiten war eines der markantesten Merkmale des noch jungen Deutschen Kaiserreichs, dessen vornehmstes Ziel darin bestand, jedwede Individualitätsentfaltung bei seiner Untertanen im Keim zu ersticken. Und daher verwundert es nicht, dass man zur Bekämpfung von Schwarzanglern uniformierte und bewaffnete Kontrolleure einsetze. In der Preußischen Fischereiordnung von 1879 hieß es: „Die Fischereiaufsichtsbeamten sind bei Ausübung ihres Dienstes als Exekutivpolizeibeamte von den ihnen verliehenen Seitengewehren und Revolverpistolen Gebrauch zu machen befugt.“ Dass ein solcher Überwachungseifer an Paranoia grenzte, spiegelt sich vor allem darin, dass von den Schwarzanglern (und erst recht von Jugendlichen) überhaupt keine Gefährdung der Fischbestände ausging, schließlich konnten sie mit ihren einfachen Ruten, Bindfäden und Drahtangelhaken nur Weiß- und Kleinfische fangen. Die den jungen Straßenanglern entgegengebrachte Missgunst wurzelte auch weniger in der Angst, diese könnten Fische fangen, sondern vielmehr im allumfassenden Macht- und Kontrollanspruch des Kaiserreiches, in dem man junge Männer lieber unter der Pickelhaube als an den Ufern der Gewässer sah. Könnten diese Gesetzgeber und Miesmacher einen Blick auf die Basecap tragenden Streetfishingkids unserer Tage werfen, so würden sie sich wohl in ihren Gräbern umdrehen – aus denen sie hoffentlich nie wieder auferstehen werden.

Zum Beitragsbild: Streetfishing war in Paris schon vor 150 Jahren populär und wurde auf Postkarten verewigt.

Ähnliche Beiträge

Schreibe einen Kommentar