Neues zur Aalfrage

Zählt man alle Aufsätze, Zeitungsartikel, Reportagen und Bücher der vergangen 400 Jahre zusammen, so kommt man auf rund 1,5 Millionen Beiträge zum Thema Aal. Unlängst gesellten sich zwei Bücher hinzu. War das wirklich nötig? Auf jeden Fall!

Noch nie stand es um die europäischen Aalbestände so schlecht wie heute. Angler und Berufsfischer wissen das schon länger, doch die sogenannte breite Masse schien dies bislang wenig zu interessieren. Aale sind eben keine Kuscheltiere und lassen sich nicht wie Pandabären öffentlichkeitswirksam präsentieren. Umso erstaunlicher ist der Erfolg der beiden Bücher Reise mit Aal des Norwegers Torolf Kroglund und Das Evangelium der Aale aus der Feder des Schweden Patrik Svensson; letzteres wurde bereits in 30 Sprachen übersetzt und zählt schon jetzt zu den gefeierten Highlights des Literaturjahres 2020. Beide Bücher sind Bestandsaufnahmen und sagen dem Aal eine düstere Zukunft voraus, wobei sie die altbekannten Ursachen für seine Bedrohung und sein baldiges Verschwinden zusammenfassen. Dass sie dabei die Verbauung unserer Flüsse als eine der Hauptursachen nennen, ist angesichts der skandinavischen Herkunft ihrer Autoren kein Wunder, schließlich machen Wasserkraftwerke das Gros der nordeuropäischen Energiegewinnung aus. Sowohl Svensson als auch Kroglund nehmen aber gerade diese Aalvernichtungsmaschinen bereits auf den ersten Seiten ihrer Bücher zum Anlass, auf die Bedrohung der Fischart hinzuweisen und kommen nicht etwa auf die Idee, mit der Überfischung von Glasaalen im Baskenland zu beginnen oder die Untätigkeit der EU als Hauptübel herauszuarbeiten.

Ein europäischer Fisch

Der in Oslo lebende Journalist und Angler Torolf Kroglund beginnt sein Buch Reise mit Aal. Auf den Spuren einer aussterbenden Art mit einer Zeitreise, die ihn an die Gewässer seiner Kindheit und somit zu seinen ersten gefangenen Aalen führt. Erfreulicherweise endet seine Erzählung auch mit einer kurzen und sehr persönlichen Schilderung einer Aalangelnacht im Jahre 2017, denn anders als viele ernannte und selbsternannte Umweltschützer zeigt er nicht mit den Finger auf andere und fordert sie auf, etwas einzustellen, dessen Unterlassung für ihn keinerlei Einschränkung oder Verzicht darstellen würde. Statt moralinsauer über den Rückgang der Aalbestände zu berichten, nimmt Kroglund seine Leser mit auf eine kreuz und quer durch Europa führende Tour zu den unterschiedlichsten Stätten des Aalfangs, der Aalmästung und der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit diesem faszinierenden Fisch. Er lässt dabei sowohl baskische Glasaalfänger, niederländische Räuchermeister, skandinavische Fischer, deutsche und französische Forscher (inklusive zweier Aalexpertinnen) sowie einen – wenn auch in den allerersten Anfangsstadien steckenden – holländischen Aalzüchter zu Wort kommen. All diesen vom Aal betroffenen und faszinierten Zeitgenossen ist gemein, dass sie sich, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, um seinen Fortbestand sorgen.

Wie schlimm es tatsächlich um Anguilla anguilla und seine Überfischung steht, rechnet Kroglund anhand eines Zufallsfundes des spanischen Zolls auf recht anschauliche Weise vor: „Es braucht 3500 Glasaale, um ein Kilogramm auf die Waage zu bringen. Hinter den 300 Kilo, die am Flughafen Madrid beschlagnahmt und in der Oria ausgesetzt wurden, stehen über eine Millionen Aale. 30 Tonnen Glasaale wären 100 Millionen Aale. Und 100 Tonnen – wer mag es ausrechnen? – wären dann über 350 Millionen Tiere, die jedes Jahr gefischt und illegal von Europa nach Asien verfrachtet werden.“ Wie wenig für den Aalschutz von Seiten der EU unternommen wird, erfährt man noch im selben Abschnitt: „Und dennoch ist es nicht die Glasaalfischerei, sondern der eher marginale Fang ausgewachsener Blankaale auf See, für dessen Verbot sich die EU einsetzt.“

Anders als in der als Abgesang auf den Aal zu verstehenden Bestandsaufnahme des reisenden Aalforschers Kroglund, findet man im Buch Das Evangelium der Aale des Schweden Patrik Svensson eine historische Analyse der Mensch-Aalbeziehung, die sich, obwohl auch Svensson Angler und Journalist ist, aus dessen angelesenem Bücherwissen speist. Angesichts der Flut von Aalliteratur ist ihm dabei eine sehr gute Quintessenz gelungen, sodass sein in der Antike beginnender und in der Jetztzeit endender Streifzug durch die Aalhistorie eine Glanzleistung genannt werden darf. Für Svensson, der das Thema weniger journalistisch als vielmehr philosophisch und wissenschaftsgeschichtlich angeht, steht die beängstigende Frage im Mittelpunkt, wie eine Welt ohne Aale aussehen könnte. Svensson nähert sich dem Aal und der Frage nach seinem Lebenszyklus poetischer als Kroglund und erlaubt sich, viele Fragen zu stellen, auf die er keine Antwort zu geben weiß: „Erlebt so ein Wesen Zeit überhaupt als etwas, das verstreicht oder eher als Zustand? Hat es schlicht eine eigene Zeitrechnung, die sich von der unseren unterscheidet? Eine Zeitrechnung des Meeres vielleicht?“Und so finden sich in seinem Buch auch Aussagen, wie man sie in der modernen Literatur leider nur noch selten zu lesen bekommt, wie beispielsweise folgende: „Wenn man der Auffassung ist, dass der Aal ein Aal sein darf, muss man ihm zumindest bis zu einem gewissen Grad auch erlauben, ein Rätsel zu bleiben. Zumindest bis auf Weiteres.“

Svensson macht es Sorgen, dass der Aal verschwunden sein könnte, bevor die Menschen ihn überhaupt in seinem ganzen Facettenreichtum erkannt haben, denn dass er kurz vor der Ausrottung steht, ist ihm ebenso bewusst, wie dem Norweger Kroglund.

Artenschutz durch Befischung?

Trotz aller Schreckensszenarien kommen beide Autoren zu dem Schluss, dass nur eine ökologische sanfte Befischung die europäischen Aalbestände retten oder zumindest ihr Verschwinden verlangsamen könnte. Torolf Kroglund zitiert einen schwedischen Aalfischer mit den Worten: „Wenn der Aal zu einem Fisch wird, der im Dunkeln am Meeresgrund herumschwimmt, ohne dass wir ihn zu Gesicht und auf den Teller bekommen, wie sollen wir da ein Verhältnis zu ihm entwickeln?“ Und Patrik Svensson schreibt: „Wenn es dem Menschen nicht mehr erlaubt ist, Aal zu fischen – ihn zu fangen, zu töten und zu essen –, wird er sich auch nicht mehr für ihn interessieren.“ Bedeutet dies für uns Petrijünger, dass wir den selbst gefangenen Aal weiter in die Räuchertonne kloppen sollten? Will man den Experten glauben, so scheint der vernünftige und nachhaltige Besatz der Vereinsgewässer mit Aalen ein guter Ansatz zu sein, schließlich landet jeder von Angelvereinen gekaufte Jungaal erst einmal nicht auf Tellern und in Pfannen, sondern hat eine gute Chance, seinen Weg in die Sargassosee zurück zu finden. An Würmchenbader haben die Verleger beider Bücher aber offensichtlich gar nicht gedacht, denn dass sie von Nichtanglern ins Deutsche übersetzt worden sind, wird jedem Fischereischeinneuling spätestens dann deutlich, wenn in Evangelium der Aale vom Angeln der Glasaale die Rede ist oder wenn in der Reise mit Aal die vom Autor auf seinen Angeltouren so häufig erbeuteten Pollacks konsequent als Pollacken bezeichnet werden. Unabhängig von diesen Minischönheitsfehlern sind beide Werke äußerst lesenswert und sollten für jeden Angler (und erst recht für jeden Nachtangler) eine Pflichtlektüre sein.

Torolf Kroglund, Reise mit Aal: Auf den Spuren einer aussterbenden Art, Edel Books, 2019, 224 Seiten, ISBN 978-3841906816, 19,95 Euro.

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Patrik Svensson, Das Evangelium der Aale, Carl Hanser Verlag, 2020, 256 Seiten, ISBN 978-3446265844, 22 Euro.

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