Mädchen an der Angel
Frauen können angeln und dicke Fische fangen. Dass es für Anglerinnen aber nicht immer leicht war, hat unser Angelhistoriker Markus Bötefür erforscht.
„Unter uns gesagt, glaube ich, dass eine Sportorganisation, in der Frauen mitreden, so angenehm ist, wie eine Stecknadel im Arsch“, diese 1936 von Ernest Hemingways an seinen Angelfreund Mike Lerner geschriebenen Zeilen betrafen die Gründung der IGFA, der International Game Fishing Association, die heute die weltweit größte und bedeutendste Vereinigung von Sportfischern darstellt. Hemingway, der sich schon in den 30er Jahren als Schriftsteller und aufschneiderischer Big-Game-Angler einen Namen gemacht hatte, war es ein Dorn im Auge, dass in der geplanten Organisation auch Frauen bedeutende Positionen einnehmen sollten, denn er hielt die Jagd und das Angeln für rein männliche Passionen. Was seine Einstellung so pikant machte, war nicht allein die robuste Wortwahl, sondern auch die Tatsache, dass Lerners Ehefrau Helen ebenfalls zu den Gründungsfiguren der IGFA gehörte und als erfolgreiche Anglerin einen hohen Bekanntheitsgrad hatte sowie durch ihr beträchtliches Vermögen eine Menge Geld in die 1939 dann endlich aus der Taufe gehobenen Organisation schoss. Obgleich sie oft unter Seekrankheit litt, zählte Helen zu den ersten Menschen, denen es gelang, alle vier Marlinarten mit Rute und Rolle bezwungen zu haben und war die erste Frau, die schwerttragende Fische in allen Ozeanen gefangen sowie viele lokale Rekordthune eigenhändig und ohne männliche Unterstützung ausgedrillt hatte.
Die Skepsis gegenüber Anglerinnen wurzelte beim notorischen Frauenhelden, Großwildjäger und Big-Game-Fischer Hemingway wohl in der ernstzunehmenden Konkurrenz, die er in der IGFA nicht nur durch Helen Lerner, sondern auch durch Francesca La Monte zu befürchten hatte, denn die Ichthyologin des National Museum of Natural History war in den 30er und 40er Jahren neben ihrer Expertenschaft für tropische Großfische auch eine vorzügliche Anglerin, ebenfalls ein IGFA-Mitglied der ersten Stunde – und sie diente Hemingway mehr als einmal als Beraterin in ichthyologischen Fragen.
Hemingways Skepsis dürfte aber nicht allein im Neid beruht haben, sondern vielmehr auch auch in seinem historischen Unwissen, denn der spätere Literaturnobelpreisträger übersah, dass Frauen und Mädchen in der Geschichte des Angelsports schon seit Jahrhunderten eine entscheidende Rolle spielten und mitunter sogar Maßstäbe setzen.
Mittelalterliche Maßstäbe
Eine der frühsten bekannten Angelexpertinnen war die englische Klosterfrau Juliana Berners (1388–1460), die als Fliegenfischerin und Autorin des ersten englischsprachigen Buches über das Angeln weltliterarische Bedeutung erlangte. Juliana, die aus hohem Adel stammte, war früh Nonne geworden und liebte die mit ihrer familiären Abstammung verbundenen Betätigungen, zu denen neben der Jagd und der Falkenbeize vor allem das Angeln mit dem Federhaken, einer Form der Nassfliege, zählte. Wann sie ihre berühmte Schrift Treatyse of fysshynge wyth an Angle (Abhandlung über das Fischen mit der Angel) zu Papier brachte, ist unklar, denn ihre Ausführungen über das Fliegenfischen ist Teil des Werkes The Boke of Saint Albans, dessen frühstes Exemplar erst nach ihrem Tode gedruckt wurde, nämlich 1486. Das Buch erlebte im 16. Jahrhundert zahlreiche Auflagen, was auch daran lag, dass sich seine Autorin neben der Kunst des Fliegenfischens vor allem mit der Lebensweise unterschiedlicherm Fischarten auseinandergesetzt hatte, ihre Standplätze im Gewässer zu nennen wusste, die besten Jahres- und Tageszeiten zum Fischfang angeben konnte, Anleitungen zum Bau von Angelruten gab, erläuterte, wie man Haken schärfe und Angelschnüre knüpfte sowie – dies macht das Werk zum eigentlichen Klassiker des Fliegenfischens – Bindeanleitungen für ein Dutzend fängiger Fliegen beschrieb, von denen einige, wie die Maifliege und die Steinfliege, noch heute zu den Standardmustern in den Fliegendosen aller Angler zählen, die es auf Forellen und Äschen abgesehen haben.
Natürlich ist Juliana Berners als Pionierin des Fliegenfischens und der Angelliteratur eine historische Ausnahmeerscheinung, doch ist davon auszugehen, dass im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit zahlreiche adlige Frauen zum Zwecke dessen, was wir heute Freizeitgestaltung nennen, zur Angelrute griffen, denn das Angeln zum Nahrungserwerb hatte bereits seit der Antike an Bedeutung verloren und war im Mittelalter längst durch die Fischerei mit Netzen und Reusen ersetzt worden. Es darf daher davon ausgegangen werden, dass die noch heute gebräuchliche spöttische Bezeichnung Hungerpeitsche für die Angelrute mittelalterlichen Ursprungs ist.
Amerikanische Anfänge
Da das Fischen und Jagen im Mittelalter und in der frühen Neuzeit zu den Privilegien des Adels und der Kirchenfürsten zählte, ist es kein Wunder, dass der Angelsport bis weit ins 19. Jahrhundert hinein in Europa ein recht stiefmütterliches Dasein führte und man in diesem historischen Zeitraum vergeblich nach berühmten Anglerinnen Ausschau halten würde. Ganz anders sah es hingegen in der Neuen Welt aus, denn auf dem nordamerikanischen Kontinent war die Fischerei so frei wie die Jagd und stand allen Einwanderern und Einwanderinnen offen. Tatsächlich waren es in den ersten Jahrhunderten der Kolonisierung und weißen Besiedlung Amerikas, Frauen, die mit der Angel für Abwechslung im Speiseplan sorgten, schnell mit Rute, Schnur und Haken so geschickt waren, wie ihre Männer und dazu beitrugen, dass die Vereinigten Staaten Amerikas – zumindest in dieser Hinsicht – zu einer Vorreiternation in Sachen Frauenemanzipation wurden.
Der enorme Fisch- und Wildreichtum des Kontinents ließ das Angeln in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem kulturellen Gemeingut der amerikanischen Bevölkerung werden, sodass sich gemeinsam mit der Jagd und dem Campen eine Oudoortradition entwickelte, die um 1900 zu einer Outdoorindustrie wurde, die recht bald ihre eigenen Zeitschriften und Organe besaß, wie z. B. das 1895 erstmals erschiene Magazin Field and Stream, das noch heute zu den beliebtesten Jagd- und Angelzeitschriften der USA zählt und das von Beginn an nicht nur Anglerinnen auf seinen Covers zeigte, sondern auch zur Feder greifen ließ. Die berühmteste dieser schreibenden Anglerinnen war wohl Cornelia Crosby (1854–1946) aus dem US-Bundestaat Maine, die zu den besten Fliegenfischern ihrer Zeit zählte und – dies ist wahrhaft historisch! – 1897 die erste Angel- und Jagd-Guiding-Lizenz erhielt, die je vom Bundesstaat ausgestellt wurde. Cornelia, die heute unter dem Spitznamen Cornelia Fly Rod Crosby, zu den historischen Persönlichkeiten der US-Geschichte zählt, darf als wohl als eine der modernen Wegbereiterinnen für Frauen im Angelsport betrachtet werden, denn sie machte ihre Leidenschaft zum Beruf.
Professionelle Anglerinnen waren und sind heute in Amerika zwar noch immer nicht die Regel, doch ist es bemerkenswert, dass weibliche Selbstverwirklichung dort schon zu seiner Zeit möglich war, als angelnde Frauen in Europa noch bestaunt und mitunter belächelt wurden.
Ob modernen Petrijüngerinnen dereinst die Berühmtheit einer Juliana Berners, Cornelia Fly Rod Crosby oder Helen Lerner erlangen werden, ist fraglich, denn längst gehören Mädchen und Frauen zum Angeln und können nur durch große Fänge, nicht aber durch ihr Geschlecht Aufmerksamkeit erregen.