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Schleien als Ärzte, Hechte als Patienten

Lange galten Schleien als Doktorfische, deren angebliche Heilkunst vor allem Hechten zugute kam. Dass aber auch Meister Esox allerlei Magisches angedichtet wurde, ist weniger bekannt. Markus Bötefür ist der Legende nachgegangen.

„Die Schleie ist der Arzt unter den Fischen. Besonders Hechte suchen, wenn sie krank oder verletzt sind, die Berührung mit ihr, um so zu genesen.“ Diese als wissenschaftliche Selbstverständlichkeit niedergeschrieben Worte stammen aus dem 1653 erschienen Werk „Der Vollkommene Angler“ des Engländers Izaak Walton. Was uns heute merkwürdig vorkommt, erschien noch vor einem knappen halben Jahrhundert alles andere als spleenig, denn als der lebende Köderfisch noch Gang und Gäbe war, galten Schleien auch unter deutschen Hechtanglern als Doktorfische und waren als Köder tabu. Wann die Mär von heilende Schleien in die Welt gesetzt wurde, lässt sich längst nicht mehr ermitteln. Sie scheint aber uralt sein, denn für den ansonsten sachlichen Walton und seine Leser stand ihre medizinische Kraft nie in Frage.

Wissenschaft des 18. Jahrhunderts

Knapp 70 Jahre nach dem Erscheinen des „Vollkommenen Anglers“ machte sich Friedrich von Flemming in seinem1724 erschienenen Buch „Der wohlunterrichtete Teutsche Fischer“daran, dem Phänomen der Schleien-Heilkunst auf den Grund zu gehen. Zunächst untersuchte er dazu den Boden der Gewässer, aus die Fische stammten und kam zu einer – zumindest für moderne Leser – durchaus nachvollziehbaren Erkenntnis: „Es ist falsch, was man von ihnen sagt, daß sie nicht laichten, sondern vom Schlamm und faulen Schiff in den moosigen Wassern gezeuget würden. Man will von ihnen vorgeben, daß sie sich mit den Schlangen paaren, welches aber eben so ungereimt, als wenn man von ihnen meldet, daß sie sich, wenn man sie in einen Topf thäte, und einige Tage in die Erde grübe, als dann in Schlangen verwandeln sollten.“

Als kursächsischer Oberforst- und Wildmeister war Flemming auch mit der Pflege der Fischereireviere betraut und somit ein Mann der Praxis, was wohl auch dazu beitrug, dass er zu den meistgelesenen Sachbuchautoren des deutschen Barock zählte. Der Bestsellerautor begnügte sich aber nicht allein mit der Widerlegung von Ammenmärchen über Schleien, sondern berichtete auch über die von ihnen für die menschliche Gesundheit ausgehenden Gefahren: „Wenn sie nicht recht gesäubert und wohl zubereitet werden, können sie bey schwachen Personen leicht ein Fieber verursachen.“ Und ein paar Seiten später über deren Heilkraft gegen das – vielleicht von ihnen selbst ausgelöste – Fieber: „In bösen Fiebern bindet man den ganzen aufgeschnittenen Fisch auf die Fußsohlen, so ziehet er das Gifft heraus, und lindert die Symptomata.“ Dass der Schleienkörper hier auf recht kuriose Art als Arznei Verwendung fand, konnte damals jedoch nur pharmazeutische Laien erstaunen, schließlich waren sie als Arznei gegen die Gelbsucht schon lange bekannt und wurden von dem berühmten Alchemisten Johann Joachim Becher 1663 wie folgt verabreicht: „Man leget lebendige Schleyen, eine nach der anderen auf Leber und Nabel, bis sie sterben. Werden also in der Gelbsucht nützlich gebrauchet.“

Von der Heilkraft lebenden Schleien für Menschen schien Flemming nichts gewusst zu haben, wohl aber für gebrechliche Hechte. Bei ihm heißt es: „Man giebet ihnen vor, daß sich der beschädigte Hecht an ihnen riebe, und also seinen Schaden hierdurch heilet.

Gefährliche Hechte

Glaubt man der älteren Literatur, so könnte man vermuten, dass Hechte die Rolle von Racheengeln für das ihren Doktorfischen von Menschen angetane Leid übernommen hatten; denn Auch Meister Esox hatten allerhand Magisches zu bieten, konnte oder wollte allerdings nicht heilen, sondern brachte im Gegenteil Elend, Krieg und Tod über die Menschen, die ihm nachstellten. Flemming wusste über einen – vielleicht zuvor von einer Schleie geheilten – Albinohecht folgendes zu erzählen: „Anno 1625 wurde in Pommern ein besonderer Hecht gefangen, welcher ganz weiß aussahe, und runde rothe Augen und Floßfedern hatte, der dem Pommer-Lande lauter Unglück, als Pest, Krieg, und den Ausgang der Herzoglichen Pommerischen Familien angedeutet und prophezeyet.“ Überhaupt scheinen außergewöhnliche Hechte in vielen deutschen Landstrichen einen Unglück verheißenden Ruf genossen zu haben. Gut hundert Jahre nach Fleming schrieb der Sagenforscher Johann Wilhelm Wolf 1845 in seinem Buch „Deutsche Sagen und Märchen“: Im See zu Ulmen in der Eifel sind zwei Fische, die schon mancher gesehen hat, einer dreißig Schuh lang und ein anderer zwölf Schuh lang, die haben Hechtsgestalt. Und so sie sich sehen lassen, stirbet gewißlich ein Ganerb [Erbe] des Hauses Ulmen, es sei Mann oder Frau, wie das oft ist bewähret und erfahren worden.“

Woher all die Erzählungen, Mythen und Legenden stammten, muss moderne Angler aber nicht kümmern, schließlich sind Albinohechte heute noch seltener als früher und lebende Schleien sind heute weder als Köderfische noch als Wärmflaschen erwünscht.

Das Beitragsbild stammt aus Conrad Gesners Fischbuch (Mitte des 16. Jahrhunderts).

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