Als die Salmoniden edel wurden. Die Anfänge des Fliegenfischens in Deutschland
Über viele Jahrzehnte galt das Fliegenfischen als die höchste Angelkunst und seine Anhänger waren peinlich darauf bedacht, daraus ein Buch mit sieben Siegeln zu machen. Wie Royal Coachman, Wickhams Fancy und Pheasant Tail nach Deutschland kamen und was das Fliegenfischen lange so elitär machte, verrät unser Angelhistoriker Dr. Markus Bötefür.
„Wenn das Angeln eine Religion ist, dann ist das Fliegenfischen seine Hochkirche“, dieser vom US-amerikanischen Journalisten Tom Brokaw stammende oder ihm vielleicht auch nur in den Mund gelegte Satz, verdeutlicht fast alles, was es rund um das Angeln mit künstlichen Fliegen zu sagen gibt: Für die einen ist es die reinste und schönste Form der Fischwaid überhaupt, für die anderen die wohl unergiebigste Methode seit Erfindung des Angelhakens. Dass es zwischen eingefleischten Fliegenfischern und Anhängern anderer Angelformen stellenweise unüberwindbare Meinungsverschiedenheit gibt, liegt, wie so vieles, in der Geschichte begründet.
Eine Klasse für sich
Seinen Ursprung nahm das Fliegenfischen in England, wo es seit dem späten Mittelalter, wohl als Weiterentwicklung des höfischen Angelns mit dem Federhaken stets eine Beschäftigung des Adels und später des finanzstarken Bürgertums war. Wann die ersten funktionstüchtigen Ruten, Schnüre und Rollen zum Einsatz kamen, kann nicht genau ermittelt werden. Ein Blick in die Angelliteratur lässt jedoch den Schluss zu, dass in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf den britischen Inseln Angelgerät eingesetzt wurde, das dem klassischen Rute-Rolle-Schnur-Vorfach-Fliege-Muster, wie es heute noch benutzt wird, sehr nahe kam. Den gut betuchten Fliegenfischern ging es bei ihre Passion in erster Linie darum, den Fischen, und damit meinten sie ausschließlich Salmoniden, waidgerecht nachzustellen. Es versteht sich daher fast von selbst, dass diese „ritterliche“ Einstellung zum Fang von Forellen und Lachsen, die man seit dem Aufkommen des Fliegenfischens als Edelfische bezeichnete, in strengen Gegensatz zum Kochtopfangeln stand. Fliegenfischer gingen von Beginn an auf scharfe Distanz zum als proletarisch diffamierten Angeln mit natürlichen Ködern und schlossen es kategorisch aus, solche Petrijünger in die exklusiven Clubs aufzunehmen. Es kam nicht einmal in Frage, sie auch nur an „Edelfischgewässern“ angeln zu lassen. Spätestens seit Mitte des 19. Jahrhunderts betrachteten Angehörige des Adels und des gehobenen Bürgertums das Fliegenfischen als einzige für sie standesgemäße Form der Fischwaid, die in den 1840-er Jahren aus England zunächst nach Deutschland und wenig später auch nach Österreich und in die Schweiz gelangte.
Horrocks und die Nachahmung der Natur
Obgleich es vorstellbar ist, dass wohlhabende Kontinentaleuropäer mit dem Fliegenfischen auf den Britischen Inseln in Berührung kamen und ihre neue Passion auch an heimischen Bächen und Flüssen praktizierten, so gilt doch der Brite John Horrocks als Begründer des Fliegenfischens in Deutschland. Der 1816 im schottischen Edinburgh geborene Sohn aus wohlhabendem Hause siedelte in den 1830-er Jahren aus seiner Heimat nach Thüringen, wo er sich recht bald in allerhöchsten Kreisen einen Namen als Sportfischer machte und die vornehmen Sitten des Flugangelns als Lehrmeister vertrat. Seine ersten Erlebnisse mit der Fliegenrute an den Fließgewässern Thüringens schilderte er wie folgt: „Die Kenntniß der Fliegenfischerei in Deutschland stammt, in Vergleich zu anderen Ländern, aus der neueren Zeit. Als ich im Jahre 1835 zum ersten Mal Deutschland besuchte, wußte man nichts davon; nicht nur Fischer und Bauern, selbst gebildete Leute sahen die Erscheinung eines Engländers, der den Fluß mit einer langen Leine peitschte, mit unverhehltem Staunen an, und selbst ein Erfolg überzeugte sie nicht, daß sie es nicht mit einem Ueberspannten zu thun hätten. Niemand wollte glauben, daß das Ganze einzig auf Nachahmung der Natur und eigene Geschicklichkeit beruhte, sie waren alle der Meinung, daß wenn man einen Fisch fing, es entweder durch Zufall oder durch Anwendung einer mysteriösen Salbe als Lockspeise, die sie ‚Witterung’ nannten, gelungen sei. Sehr oft bin ich nach meiner besonderen ‚Witterung’ gefragt worden, und wenn ich erklärte, daß ich von derlei nichts wisse, schüttelte der Fragende zweifelnd den Kopf und verschwand.“
Sein noch heute bei vielen deutschen, und vor allem ostdeutschen, Fliegenfischern als „Bibel“ verehrtes Buch „Die Kunst der Fliegenfischerei auf Forellen und Aschen in Deutschland und Oesterreich“ hat es außerhalb Deutschlands jedoch zu keinem großen Ruhm gebracht, denn für die Angler im übrigen Europa (und erst recht für die Briten) hatte Horrocks nichts Neues zu mitzuteilen. Was sein Ausführungen jedoch kultur- bzw. sporthistorisch interessant machen, sind die konsequenten zweisprachigen Bezeichnungen der Angelgeräte, so stellte er beispielsweise die den Thüringern unbekannte Fliegenschur einmal unter ihrem deutschen Namen als Wurfschnur und zugleich mit ihrer englischen Bezeichnung als Casting Line vor.
Praktizierter Naturschutz
Es sind aber nicht allein diese spleenigen Anwandlungen, die John Horrocks berühmt gemacht haben, sondern vielmehr sein Einsatz für den Gewässerschutz. Vielen modernen Fliegenangeln gilt er bis heute als einer der Väter des angewandten Naturschutzes, denn es wird ihm von vielen Angeln nicht nur zugute gehalten, dass er die Kunst des Fliegenfischens in Deutschland begründete und diese Art der Fischerei als erster in deutscher Sprache beschrieb, sondern auch, dass er Forellen und Äschen zu Edelfischen erhob und sich für ihren Erhalt und für die Erhaltung ihrer Lebensräume einsetzte. Als moderner Leser seines Buches ist es jedoch unmöglich, die dünkelhafte Sprache zu übersehen, mit der er sowohl Menschen als auch Fische klassifizierte und in edle sowie unedle Gattungen unterteilte. Im Vorwort seines Buches heißt es: „Beglückt würde ich sein, könnte ich dazu beitragen, daß wenigstens in den deutschen Flüssen, welche die Salmoniden bewohnen, diese edlen Fische nur mit der Fliegengerte gefangen würden. Ich weiß sehr wohl, daß es nicht möglich ist, Grund- und Netzfischerei in allen Gewässern zu verbieten, ja daß sie für manche Fische niederer Gattung geradezu unentbehrlich sind; allein mein Bestreben, und ein Zweck dieses Buches soll es sein, dahin zu wirken, daß sie wenigstens in den Flüssen und Bächen, in denen der Salm, die Forelle und die Asche wohnen, auf ein Minimum reducirt, wenn nicht ganz verbannt werden mögen.“
Horrocks bis in unsere Tagen in Deutschland beliebtes Werk verdankt seinen Ruhm allein der Tatsache, dass es auf Deutsch verfasst wurde, denn bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatten seine Landsleute weitaus bessere Bücher für Fliegenfischer in englischer Sprache verfasst, in denen es nicht allein um Ruten, Rollen, Schnüre, Vorfächer und Bindeanleitungen für diverse Nass- und Trockenfliegen ging, sondern die sich auch fundiert mit fisch- und vor allem insektenkundlichen Fragen beschäftigten, wie z. B. das 1846 in erster Auflage erschienene Standardwerk „The Vade Mecum of Fly-Fishing for Trout“ (Das Handbüchlein fürs Fliegenfischen auf Forellen) aus der Feder von Geroge Pulman (1819–1880). Pulman, über dessen Lebensgeschichte so gut wie nichts bekannt ist, war der erste der detaillierte Bindeanleitungen für Trockenfliegen lieferte und das Angeln mit diesen damals modernen Fliegen beschrieb, während William C. Stewart (Lebensdaten unbekannt), ein anderer berühmter Engländer, in seinem Buch „The Practical Angler; Or The Art of Trout- Fishing“ (Der praktische Angler; oder die Kunst des Forellenangelns) aus dem Jahre 1857 das bis dahin für unpraktizierbar gehaltene Fliegenfischen in stromaufwärtiger Richtung beschrieb.
Glaubensstreit
Trotz seiner überschaubaren Innovationen, ist es Horrocks zu verdanken, dass das Fliegenfischen in Deutschland rasch Fuß fasste. Sein strikt englischer Stil stieß jedoch nicht bei allen Größen in der damaligen Angelszene auf Gegenliebe, denn selbst dem elitären österreichischen Fliegenfischer Leopold Zeiler (Lebensdaten unbekannt) ging die Anglophilie vieler seiner Zeitgenossen zu weit, wie er anhand der aus seiner Sicht inflationären Verwendung von Seidenvorfächern erläuterte: „Angelfreunde, die mit den englischen Manieren vertraut sind, oder richtiger gesagt, welche an der Anglomanie kränkeln, reiten das Steckenpferd, daß die von den Engländern zum Forellentippen angewendete Schnur aus Seide und Pferdehaar, welche sich gegen die Schlinge zu verjüngt und an der Rolle läuft, den Vorzug verdienen; dagegen wende ich ganz einfach ein, daß eine solche Schnur in ihren Laufringen schwerfällig läuft, weil die unzähligen Haar – Ende, die an der Schnur nach Außen streben, diese rauh machen und die Schnur an dem glatten Ablaufe hindern.“ Trotzdem konnte auch Zeiler kein Material zu gut für den Fang der von ihm so geliebten Edelfische sein, womit er sich als standesbewusster Fliegenfischer zu erkennen gab, der den kostspieligen, zumeist aus England stammenden, damals modernen Materialen gegenüber doch sehr aufgeschlossen war: „Man findet daher gegenwärtig die erfreulichste Auswahl geflochtener englischer Seidenschnüre in jeder Stärke. Wird eine solche Schnur mit Leinölfirniß gesättigt und gut und langsam getrocknet, so ist es wahrhaft überraschend, was sie an einer kunstgerechten und meisterhaft geführten Ruthe leistet. Darüber können die englischen Lachs-Fliegenfischer Zeugniß ablegen.“
Autoren wie Horrocks und Zeiler sorgten mit ihren extravaganten Geräteempfehlungen dafür, dass sich das Fliegenfischen den meisten Anglern lange verschloss und begründeten mit ihren snobistischen Büchern so auch eine Animosität zwischen Fliegenfischern und Grundanglern, die sich erst in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in Deutschland gelegt hat und die in weiten Teilen Österreichs hoffentlich bald auch der lagen Geschichte des Angelsports angehören wird.
Das Beitragsbild stammt aus der Erstauflage des Buches von Horrocks.