Klassenkampf mit Angelrute. Die Gründung der ersten Angelvereine
Vereine und Organisationen sind gewiss nicht jedermanns Sache. Zu Beginn des 20 Jahrhunderts fiel Arbeiter-Angelvereinen jedoch eine wichtige soziale Bedeutung zu.
Während das Fliegen- und Spinnfischen auf Lachse, Forellen, Saiblinge und Äschen im späten 19. und frühen 20 Jahrhundert traditionell ein Privileg wohlbetuchter Großbürger und Adliger war, galt das Grundangeln auf Weißfische, Döbel, Barsche, Karpfen und Aale als eine Form der Angelfischerei, die sich für höhere gesellschaftliche Schichten nicht schickte. Das Fischen auf Nichtsalmoniden war – und dies galt bis in die 50er-Jahre des 20. Jahrhunderts – eine Freizeitbeschäftigung für Arbeiter, die sich im Deutschen Reich in zahlreichen Arbeiter-Angelvereinen zusammenschlossen.
Der erste dieser Vereine gründete sich bereits 1866 unter dem Namen Central-Verein der Angelfreunde in Berlin; ihm folgten zahlreiche andere. Diese reinen Arbeiter-Angelvereine hatten von Beginn an auch eine sozialpolitische bzw. sozialdemokratische Kernidee, denn dass Proletarier in den Vereinen des Bürgertums unwillkommen waren, konnte kaum einen Angelenthusiasten aus der Arbeiterschicht verborgen bleiben.
Das Großbürgertum, hier Dr. Karl Heintz, der Erfinder des gleichnamigen Blinkers, distanzierte sich scharf von angelnden Arbeitern.
Klassenkampf unter Angeln
Wie sehr sich der Klassenkampf zwischen Fliegen- und Spinnrute schwingenden Großbürgern und den in den damals sog. Arbeiter-Anglervereinen organisierten Sportfischern kurz vor dem Ersten Weltkrieg verschärft hatte, belegt folgendes Zitat aus einem Rundschreiben des Deutschen Anglerbundes, das 1911 in der Zeitschrift „Der Sportfischer“ veröffentlicht wurde:
„Das Heranziehen des sog. ,kleinen Mannes‘ zur Bundesorganisation [gemeint ist hier eine das Deutsche Reich umspannende Organisation aller Angler] ist es, was den Herren nicht so recht behagt. Der kleine Mann ist nach ihrer Auffassung nicht der richtige ‚Sportgerechte’, weil er nicht mit der Lachsrute in Norwegen herumkraxeln oder nicht die großen Seen mit einem paar Dutzend Spinnern bearbeiten kann.“
Die aus diesen Zeilen klingende Verbitterung der Arbeiter war in der Tat berechtigt, denn sie hatten keineswegs nur gegen den Standesdünkel der fischwaidwerkenden Adligen, Großbürger und Beamten anzukämpfen, sondern wurden auch von den Berufsfischern als minderwertige Würmchenbader angesehen, die man am liebsten gänzlich von der Fischerei ausgeschlossen hätte. So heißt es in einem Beitrag der Fischerei-Zeitung, einem Organ der deutschen Berufsfischer, aus dem Jahre 1893 über Ansitzangler: „Es ist kaum denkbar, daß sich ein auch nur mäßig begabter Mensch dieser langweiligen, unfruchtbaren und unlohnenden Beschäftigung hingeben könnte. Wie kann man es nur fertig bringen, Stunden oder gar den ganzen Tage oder die ganzen Nächte an einem Gewässer zu verweilen und auf irgendein kleines Fischlein zu warten, welches den angebotenen Köder ergreift. Es muß doch das Angeln eine Herz und Geist tötende Beschäftigung sein.“
Auch für Frauen und Kinder
Die Gegner der angelnden Arbeiter standen jedoch auf verlorenem Posten, denn vor allen in den industriellen Ballungsgebieten, wo sozialdemokratisch geprägte Arbeitervereine in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts für eine Teilhabe der Arbeiter am sportlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Leben eintraten, entstanden nicht nur Anglervereine als Verbindungen von Menschen mit gleichen Interessen, sondern ihre Mitglieder pachteten auch eigene Gewässer an, besetzten diese mit Fischen, gründeten an ihren Ufern Kleingartenanlagen und entwickelten so eine eigene Arbeiter-Angel-Kultur, die sich bewusst von den elitären Spinn- und Fliegenfischern abzusetzen suchte und in die von Anfang an auch Frauen und Kinder einbezogen wurden.
1921 kam es dann zur Gründung des Arbeiter-Angler-Bundes Deutschland, einem Dachverband der Interessen aller angelnden Arbeiter. Der Bund gab eigene Mitgliederzeitschriften heraus und verstand, sich öffentlichkeitswirksam zu präsentieren. Im April 1927 nahm er an der ersten Berliner Freizeitausstellung „Das Wochenende“ teil und war dort mit einem Familienangeln vertreten. Die Berliner Presse schrieb dazu am 13 Juni 1927: „Die junge Organisation der Arbeiterangler tritt mit einer bemerkenswerten Ausstellung das erste Mal vor die große Öffentlichkeit. Man muß es den Anglern von ‚Petri Heil‘ lassen, sie haben es gut verstanden, die Eigenarten ihres Sports und die mit seiner Ausübung verbundenen Absichten zur Schau zu bringen. […] Das innige Verbundensein mit der Natur, mit Feld, Wasser, Tier und Kameraden bringt dem Arbeiterangler die Kraft zu neuem Schaffen. In der Anglerkolonie verlebte er und seine Familie ein erholsames Wochenende.“
Dem Arbeiter-Angler-Bund war allerdings nur eine Lebensdauer von zwölf Jahren vergönnt; 1933 wurde er, wie alle Sportvereine im Deutschen Reich, von den Nazis gleichgeschaltet.
Zum Beitragsbild: Die Arbeiter-Angelvereine setzten bei der Ausübung der Angelei von Beginn an auf Gemeinschaft. Hier ein Wettfischen für Frauen um 1900. (Unbekannter Fotograf)