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Pferdehaar und Seidenschnur. Die Geschichte der Angelschnur

Monofile, Geflochtene oder lieber Fluorocarbon? Die Qual der Wahl ist nicht neu. Schon vor gut 150 Jahren mussten Angler sich zwischen Seide, Pferdehaar und Hanf entscheiden. Unser Angelhistoriker Dr. Markus Bötefür spult den Faden der Schnurgeschichte auf.

Die Eigenschaften einer guten Angelschnur kann jeder Petrijünger aus dem Effeff hersagen: Sie soll sowohl bärenstark wie seidenweich, für die Fische unsichtbar, knoten- und abriebsfest sein. Natürlich muss sie auch lange halten – zumindest solange, bis die nächste Generation mit verheißungsvollem Namen auf den Markt kommt. Dass diese dann um Welten besser als alle ihre Vorgänger ist, versteht sich von selbst. Angesichts solcher Anforderungen löst die Frage, wie unsere Vorfahren mit Schnüren ohne garantierte Tragkraft und Nassknotenfestigkeit überhaupt einen Fisch aus dem Wasser befördern konnten, bei vielen modernen Petrijüngern ahnungsloses Schulterzucken aus.

Wer aber glaubt, dass man sich im 19. Jahrhundert keine Gedanken zum Thema Schnur gemacht hat, der liegt völlig falsch, denn früher war es beileibe nicht so, dass man seine Haken an eine x-beliebige Leine knüpfte und einfach drauflos angelte. In seinem 1852 erschienen Buch Das Ganze der Angelfischerei empfahl Baron von Ehrenkreutz bei der Wahl der passenden Schnur Folgendes zu bedenken: „Man verfertigt solche aus Seide, Pferdehaaren oder Hanf, wozu der italienische sich am vorzüglichsten eignet. Die aus England bezogenen Schnüre sind wieder die vorzüglichsten, weil sie nur sehr mäßige Dicke mit ungemeiner Stärke und Dauer verbinden, sich, wenn sie auch von Hanf sind im Wasser nicht drehen und mehrere Jahre, wenn sie auch täglich gebraucht werden, vorhalten.“

Angesichts dieser feinen Unterschiede ist es nicht erstaunlich, dass Schnüre Mitte des 19. Jahrhunderts zu den teuersten Artikeln zählten, die der Angelgerätefachhandel bereithielt. Während man 1878 im Hamburger Angelgeräteladen Waitz für eine dreiteilige Haselnussrute 80 Pfennige auf die Theke legen musste, kostete bessere Schnur 40, besseres Pferdehaar 60 und stärkere Seide sogar 80 Pfennige. Leider sind die Längenangaben der Schnüre im noch heute erhaltenen Waitz-Katalog nicht angegeben. Dass es sich aber um relativ kurze Meterwaren handeln musste, zeigt das Kapitel Schnur im Buch Geheim gehaltene Fischkünste von Ch. M. Henning aus dem Jahre 1847. Dort heißt es: „Was die Angelschnuren anbelangt, so sind sie gewöhnlich von Pferdehaaren, die, je nachdem man zu Klitsche, Kopf, oder Grunde fischt, 6 bis 20 Haare stark sein können. […] Die Haare werden vermittelst Haken zusammengedrehet, und die einzeln Stücke durch Kreuzknoten mit einander verbunden. Die Schnuren von Pferdehaaren (es versteht sich, dass es weiße Pferdehaare sein müssen, weil sich der Fisch vor den schwarzen Haaren scheut) sind zwar in mancher Hinsicht sehr gut, weil sie nicht so leicht der Fäulniß, wie die seidenen und hanfenen unterworfen sind, allein sie sind so leicht dem Zernagen der Spinnen ausgesetzt und die Knoten ziehen sich bei ihnen, zumal bei den starken Schnuren, sehr leicht aus einander. Die seidenen Schnuren sind daher die besten; sie müssen aber von Seide sein und nicht, wie die jetzt so oft unter diesem Namen verkauften, nur von russischem Hanfe.“

Angelschnur als Genderfrage

Wie aus diesen Ausführungen ersichtlich wird, konnte man sich die Schnüre mittels Dreh- und Knotentechniken bearbeiten und so stärkere und längere Schnüre erzeugen. Dass es bei der Verwendung von Pferdehaaren aber keinesfalls egal war, welchem Ross sie ausgezupft wurden, erfuhr man, wenn man weiter im Buch von Ehrenkreutz blätterte: „Die weißen, noch besser aber die fuchsfarbenen und braunen Haare aus dem Schweife der Hengste oder Wallachen sind allein dazu zu brauchen, weil die von Stuten durch den Urin morsch werden und darum zu schwach sind.“

Noch exklusiver wurden die Schnurempfehlungen für diejenigen Petrijünger, die sich dem damals relativ neuen Fliegenfischen verschrieben hatten, denn sie benötigten zur Füllung ihrer einfachen Haspelrollen nicht nur reibungslos laufende Leinen, sondern verlangten auch nach verjüngten Vorfächern. Die Frage nach der passenden Fliegenschnur scheint bei den Zeitgenossen zu einem solchen Hype geführt zu haben, dass Leopold Zeiler 1873 in seinem Angelführer für Österreich entnervt erklärte: „Angelfreunde, die mit den englischen Manieren vertraut sind, oder richtiger gesagt, welche an der Anglomanie kränkeln, reiten das Steckenpferd, daß die von den Engländern zum Forellentippen angewendete Schnur aus Seide und Pferdehaar, welche sich gegen die Schlinge zu verjüngt und an der Rolle läuft, den Vorzug verdienen.“ Doch auch Zeiler kam nicht ohne britische Innovationen aus, denn er fuhr fort: „Heutzutage wird man bei keinem Angler mehr eine gedrehte Schnur in Anwendung finden, weil dieselbe im nassem Zustande zusammenläuft und sich verwickelt und oft dem Angler sehr lästig wird. Man findet daher gegenwärtig die erfreulichste Auswahl geflochtener englischer Seidenschnüre in jeder Stärke.

Der Einzug der Kunststoffe

Anfang des 20. Jahrhunderts tauchten die ersten mittels Spinnmaschinen produzierten Kunstseidenschnüre in den Angelgeräteläden auf. Zwar hatten diese Schnüre gegenüber sämtlichen aus pflanzlichen- und tierischen Materialien hergestellten Vorgängern den Vorteil in beliebiger Länge auf die seinerzeit benutzten Nottingham- und frühen Multirollen gespult werden zu können, doch war ihre Tragkraft alles andere als überzeugend, sodass man nach wie vor recht dicke Leine verwenden musste, wollte man sich mit kapitalen Fischen anlegen. Auch war diese Kunstseidenschnur nicht seidenglatt, denn es handelte sich bei ihr um eine aus mehreren dünnen Strängen zusammen gedrehte Geflechtschnur.

Starke Schnüre in (fast) beliebiger Länge war erst mit dem aufkommen von Perlon Ende der 30er/Anfang der 40er Jahre auf den Rollen wohlhabender Angler zu finden. Diese Geflechtschnüre waren aber so dick, dass man sie kaum weit genug auswerfen konnte, weshalb viele moderne Angelmethoden (besonders das Spinnfischen) noch lange in den Kinderschuhen steckten. Hinzukam, dass man auch diese Schnüre nach jedem Angeln von der Rolle nehmen und zum Trocknen auf spezielle und an Gartenschlauchtrommeln erinnernde Spulen spannen musste. Auch das Anfang der 50er Jahre entwickelte Nylon war zunächst kein Meilenstein in der Geschichte der Angelschnur, denn die ersten Nylonschnüre waren zu weich und hatten einen solchen Gummibandeneffekt, dass sie zum Angeln untauglich waren. Erst Mitte der 50er Jahre hatten Chemiker und Ingenieure der Nylonschnur soviel Hartmacher beigemengt, dass man sie auf die ersten Stationärrollen spulen konnte. Tragkraftwunder waren diese Leinen aber noch lange nicht, denn eine 0,40er Monofile hatte damals eine Reißfestigkeit von rund vier Kilogramm. Es ist daher kein Wunder, dass viele Angler noch bis weit in die 60er Jahre hinein mit Geflechtschnüren fischten, für deren Pflege es 1965 in der 5. Auflage des Klassikers Spinnangeln von Max Piper hieß: „Die Schnur in Benzin legen, dem etwa 15% Paraffin oder auch käufliches Schwimmfett beigemischt wird. Mit der Paraffinpaste von Zeit zu Zeit nachreiben […]. Das gleiche gilt für Schnur, die mit säurefreier Vaseline eingefettet wurde, auch sie kann eine Paraffineinreibung erhalten. Zum Einreiben der Fette nimmt man weiches Leder oder Schnurfetter, die man kaufen kann, noch besser die warme Hand.“

Seit Anfang der 70er Jahre war dann der Siegeszug der monofilen Schnur nicht mehr zu stoppen. Angelschnur wurde auch bei Nichtangeln zum Synonym für dünne, stabile und fast unsichtbare Leinen, die von ihren Herstellern, mit Namen wie Spider Wire, Steelpower und Gorilla Line versehen und in der Werbung mit Superlativen der technischen Entwicklung verglichen wurden. Als 1987 die ersten Geflechtschnüre auf den Markt kamen, die wir heute in dünnsten Kalibern als Geflochtene bezeichnen und besonders gern zum Spinnfischen einsetzen, war der Grundstein für jene bis jetzt andauernde Entwicklung gelegt, die jedes Jahr immer dünnere Fädchen mit immer höherer Tragkraft auf den großen und nur noch schwer zu überschauenden Angelschnurmarkt wirft. Zugleich belasten Plastikmüll und Kunststoffabfälle unsere Gewässer, sodass die Frage nach der Zukunft von unverrottbarer Angelschnur viele Petrijünger beschäftigt. Werden wir das Wasser in ein paar Jahren noch immer mit Monofiler und Geflochtener peitschen oder ziehen wir demnächst wieder an den Schweifhaaren von Hengsten und Wallachen?

Das Beitragsbild zeigt Angler an der Seine und stammt von einer französischen Postkarte (um 1900).

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