Invasion der schwarzen Geschwader
Seit über vier Jahrzehnten erhitzen Kormorane die Gemüter und spalten die Gesellschaft. Ich habe für Euch aktuelle Stimmen und Stimmungen eingeholt.
„Geh mich bloß weg mit Kormorane.“ Als ich Angelfreunden im Mülheimer Hafen von meiner Idee einer Bestandsaufnahme des Kormoranproblems berichtete, erhielt ich durchweg skeptische Reaktionen, die vom zitierten Statement über spöttisches Lächeln bis zu der verbitterten Feststellung reichten, dass weder in Berlin noch in Brüssel etwas gegen die Vernichter unserer Fischbestände unternommen werde. Überhaupt, so die einhellige Meinung der an diesem Nachmittag im Rhein-Ruhr-Hafen versammelten Petrijünger, würde sich kein Mensch um ihre Belange kümmern.
Tatsächlich stellen die gefräßigen Vögel seit Mitte der 80er Jahre ein stetig wachsendes Ärgernis dar, unter dem neben Anglern auch Berufsfischer, Teichwirte und Fischzüchter zu leiden haben, denn der Kormoranappetit ist gewaltig. Rund 500 Gramm Fisch vertilgt ein einzelner Vogel pro Tag. Waren die schwarzen Gourmets auf dem Gebiet der alten Bundesrepublik früher seltene und nur in ausgewiesenen Schutzgebieten brütende Vögel, die völlig zurecht unter Artenschutz standen, so hat sich ihre Zahl in den vergangenen Jahrzehnten explosionsartig vermehrt. Zählte man 1997 noch rund 15.000 Brutpaare in der Bundesrepublik, so beläuft sich ihre Zahl heute bereits auf rund 25.000, zu denen sich im Herbst weitere Wintergäste gesellen, sodass allein in Mecklenburg-Vorpommern zuweilen bis zu 13.600 Paare ihre Nester bauen. In der EU leben laut einer Erhebung des Deutschen Angelfischereiverbandes (DAFV) mittlerweile rund zwei Millionen Exemplare – Tendenz steigend.
Verhärtete Fronten
Natürlich kennt jeder vernünftige Angler seinen Stellenwert in der Natur und weiß, dass Reiher, Haubentaucher und Kormorane sich auf ein natürliches Fressrecht berufen können. Es ist auch niemandes Absicht, die Kormorane vom Fischfressen abzuhalten, sondern vielmehr geht es darum, die viel zu hohe Bestandszahl zu reduzieren. Denn nicht der einzelne Kormoran, sondern die hohe Bestandsgröße ist es, über die sich Fischer, Teichwirte und Angler auf der einen sowie Hobbyornithologen und Vogelschützer auf der anderen Seite seit nunmehr fast 40 Jahren teils erbittert streiten. Als der Naturschutzbund Deutschland e. V. (NABU) den Kormoran 2010 zum Vogel des Jahres bestimmte und seine Wahl damit begründete, für den nachhaltigen Schutz dieser Vogelart und seines Lebensraumes werben zu wollen, hatte er den Toleranzbogen für Angler, Berufsfischer sowie Fischzüchter längst überspannt und die Kluft zwischen vom Kormoranfraß geschädigten Fischern und von striktem Vogelschutz beseelten Gutmenschen offen zu Tage gelegt.
Zwischen den Befürwortern eines geregelten Abschusses und den oft militanten Kormoranschützern hat sich eine Gegnerschaft entwickelt, die soweit geht, dass man selbst über die Frage, ob der Kormoran ein einheimischer oder eingewanderter Vogel ist, keine Einigung findet. Während der NABU auf seiner Website beteuert: „Der Kormoran ist eine heimische Vogelart und seit der Eiszeit bei uns heimisch“, berufen sich viele Angler auf das 1666 verfasste Vogelbuch des Straßburger Naturkundlers Leopold Baldner, der über das Verbreitungsgebiet des damals Scharf genannten Kormorans schrieb: „Ein Scharf ist bei uns unbekannt und es gibt deren nicht viel.“ Wie so oft bei Streitereien liegt die Wahrheit wohl irgendwo im Graubereich zwischen Schwarz und Weiß, denn als Wintergäste sind die Vögel seit der Antike in Mitteleuropa bekannt, wie aus den Zeilen des Schweizer Naturforschers Conrad Gesner hervorgeht, der sie im Zusammenhang mit einer althergebrachten Wetterkunde erwähnte: „Wenn die Scharbi [Kormorane] bei uns am Rhein erscheinen, soll dies ein Zeichen für große Kälte sein. Doch erinnere ich mich, dass sie auf unserem See auch in der zweiten Dekade des Septembers sind gefangen worden.“
Unwillkommene Gäste
Dass die Vögel aber nie willkommen waren, geht aus einer Bemerkung des großen Universalgelehrten Albertus Magnus hervor, der im 13. Jahrhundert über sie zu Pergament brachte: „In unseren Gegenden kommt ein schwarzer Vogel vor, Brust und Bauch grau, der Fische in Flüssen und Meeren jagt und großen Schaden anrichtet.“ Der Umstand, dass ein zu hoher Kormoranbestand von Fischern als schädlich angesehen wird, ist freilich der Hauptstreitpunkt zwischen Geschädigten und Vogelliebhabern, denn letztere halten eine Bejagung von Kormoranen für überflüssig und verweisen darauf, dass es ausreichend natürliche Feinde gäbe. Der NABU nennt in diesem Zusammenhang ausgerechnet die aus Nordamerika eingewanderten Waschbären sowie Fischadler. Auch für den Rückgang wirtschaftlich wichtiger Fischarten sei laut NABU nicht der Kormoran verantwortlich, denn, so heißt es auf den Internetseiten der Organisation weiter: „Rückläufige Erträge an Binnengewässern beruhen vielmehr auf geringeren Nährstoffeinträgen durch eine bessere Gewässerreinhaltung. Denn damit gehen auch das pflanzliche und tierische Plankton zurück – die wichtigste Fischnahrung.“ Das stimmt, allerdings nur zum Teil. Wir Angler wissen, dass saubere Gewässer weniger Nährstoffe (und damit Fische) enthalten als schmutzige. Wenn diese sauberen Gewässer aber auch noch von Kormoranen heimgesucht werden, ist dies gewiss kein Vorteil für den Fischbestand. Hier nach dem Motto „was kann der Kormoran für euren Umweltschutz?“ zu argumentieren, bedeutet Äpfel mit Birnen zu verwechseln. Damit ist es dem NABU aber nicht genug, der von Kormoranen weitestgehend ruinierte Äschenbestand hat laut seiner Einschätzung nämlich auch nichts mit der Gefräßigkeit der Vögel zu tun, sondern beruhe in der Verbauung und Erwärmung unserer Flüsse, weshalb Äschen dort keine Laich- und Unterstandsplätze mehr vorfänden, wobei man sich angesichts der angeblichen Harmlosigkeit von Kormoranen fragt, vor wem sich die Äschen denn verstecken sollten.
Von den Naturschützern wird weiter behauptet, dass sich Kormorane fast ausschließlich von wirtschaftlich unbedeutenden Fischarten (Weißfischen) ernähren würden. Viele Angler wissen jedoch, dass sie bevorzugt solche Fischarten verspeisen, die sie als geschickte Taucher am leichtesten „ernten“ können. Der erhebliche Rückgang des Aalbestandes steht in enger Verbindung mit der Kormorandichte. Im Niederdeutschen nennt man den Vogel seit dem Spätmittelalter deshalb auch Aelgüß, was ins Hochdeutsche übersetzt Aalgans bedeutet.
Ein europäisches Problem
Auf die Ernennung zum Vogel des Jahres 2010 reagierten Jäger und Angler 2013 gemeinsam mit einer Unterschriftenaktion, die sie in Anlehnung an das schwarze Gefieder und die Pestepidemien des Mittelalters mit dem Titel „Der schwarze Tod für unsere Fische“ versahen. Herausgekommen ist dabei recht wenig, denn die Zahl der Vögel steigt weiter von Jahr zu Jahr, sodass auch die von einigen Landesregierungen erlassenen Kormoranverordnungen so gut wie nichts zur Reduzierung der nach wie vor viel zu hohen Bestände beitragen, denn die Anzahl der jährlich erlegten Vögel ist in etwa so hoch, wie die des Kormorannachwuchses. Momentan leben laut einer Erhebung des DAFV auf dem Gebiet der Bundesrepublik rund 25.000 Brutpaare, die Jährlich jeweils drei bis fünf Eier legen. Um diesen enormen Bestand, der jährlich rund 20.000 Tonnen Fisch vertilgt, dauerhaft zu reduzieren, wäre ein europäisches Kormoranmanagement nötig, schließlich, so betont Olaf Lindner vom DAFV „kennen Kormorane keine Grenzen“ und betont weiter, dass die bislang sehr unterschiedliche Handhabung des Problems in den EU-Staaten einer Problemlösung im Wege stand. Während die Abschusszahlern in einigen Ländern steigen, begnügen sich andere Staaten mit völlig nutzlosen Vergrämungsmaßnahmen, wie z. B. der Aufschreckung der brütenden Vögel in der Hoffnung, so ihre Gelege auszukühlen. Das Haupthindernis eines fruchtbaren Kormoranmanagements liegt aber, so Lindner, in fast allen EU-Staaten darin, dass man sich zumeist nur auf kommunaler Ebene dieses Themas annimmt und das Große und Ganze nicht erkenne. Deutschland mit seiner föderalistischen Struktur ist daher nicht eben ein Vorbild und sorgt mit seinen Kormoranverordnungen auf Bundesländerebene eher für Verwirrung als für Klarheit.
Mit der Flinte schwer zu lösen
Nach der gemeinsamen Unterschriftenliste von 2013 erlosch das Interesse der Jäger recht bald und die geschädigten Angler und Fischer standen wieder allein an den Ufern ihrer leergefressenen Gewässer. Dass die Waidmänner nicht gern zur Flinte greifen, ist kein Wunder, denn bekanntermaßen kann man die Beute nicht in der Küche abliefern. Es ist aber nicht allein ihr Verwertungsnullwert, der sie jagdlich weitestgehend unattraktiv macht, sondern es gesellen sich noch eine paar weitere Hemmschuhe dazu: Zunächst ist die Bejagung dieser äußerst scheuen, intelligenten und lernfähigen Vögel alles andere als leicht. Um sie vor den Lauf einer Schrotflinte zu bekommen, muss man Aufwendungen treffen, die für Ansitzschützen nicht nur genauste Revierkenntnisse erfordern, sondern auch den Aufbau eines perfekt verblendeten Tarnzeltes notwendig machen sowie Pirschgängern das Überstreifen bizarr anmutender Camouflagekleider abnötigen, was besonders traditionsbewussten Grünröcken gehörig gegen die Schnüre ihrer Tirolerhüte geht und sie deshalb vom Waidwerk auf die schwarzen Fischräuber zurückschrecken lässt. Von vielen Jägern hört man aber auch, dass es die sog. Schusshärte von Kormoranen ist, die sie von der gezielten Jagd abhält. Zu oft ist man darauf angewiesen, einen angebleiten Vogel mit einem schnellen zweiten Schuss aus der Luft zu holen. Apropos angebleit: Was uns Anglern in Form eines Bleiverbotes noch bevorsteht, ist in der Jagd längst Realität, denn dort dürfen über Wasserflächen statt klassischer Blei- nur noch Weicheisen-, Wismut oder Zinkschrote verschossen werden, letztere drei werden von den meisten Schützen kategorisch abgelehnt, weshalb ihre Finger an deutschen Gewässern zumeist gerade bleiben.
Aber auch, wenn Jäger Anglern unter die Arme greifen wollen und nach langem hin und her dann endlich Abschussgenehmigungen vorliegen, ist es keineswegs leicht, die Vogelzahl zu reduzieren, denn sobald Kormorane Bejagungsdruck verspüren, stellen sie ihr eigenes Jagdverhalten grundlegend um. „Seit wir sie bejagen dürfen, kommen sie über den ganzen Tag verteilt in kleinen Trupps und nicht mehr wie früher in den frühen Morgenstunden in Schwärmen von 70 oder 100 Kreaturen“, erzählt mir mein angelnder und jagender Großonkel und fügt frustriert hinzu „Man kann doch nicht den ganzen Tag am Wasser stehen und auf die Biester warten.“ Gewartet hat man Ansicht vieler Kormorangeschädigter ohnehin schon viel zu lange. „Wir müssen aus dem Ping-Pong der Verantwortungszuweisung endlich raus. Wir haben es hier mit einem gesamteuropäischen Problem zu tun“, sagt Olaf Lindner und verweist auf die Verantwortung der EU-Mitgliedsstaaten: „Dem Treiben der rund zwei Millionen Kormorane in der EU schauen die Bundesregierung und die Europäische Kommission tatenlos zu. Die Resolution des Europaparlaments aus 2018, die eine drastische Reduktion des Kormoranbestandes fordert, wird von der EU-Kommission und der Bundesregierung völlig ignoriert.“ Ich traue mich kaum, diese Informationen an die Angler im Mülheimer Rhein-Ruhr-Hafen weiter zu tragen, denn ich fürchte, dass ich ihre Antwort schon kenne: „Geh mich bloß weg mit die EU.“
Jagdrecht und Kormorane
Kormorane sind kein Wild und sind somit auch nicht im Bundesjagdgesetz aufgeführt. Die Vogel-Richtlinie der EU lässt die Bejagung der in Artikel II aufgeführten Arten zwar zu, Kormorane sind jedoch in diesem Anhang bislang nicht aufgelistet. Solange sie aber nicht als jagdbare Art im Anhang II der EU-Vogel-Richtlinie aufgeführt werden, scheidet ihre Bestandsreduktion durch Jäger aus. Die einzige Möglichkeit, ihre Zahl in Deutschland zu reduzieren bieten sog. Kormoranverordnungen, die bislang von einigen Bundesländern erlassen wurden. So dürfen in Thüringen Kormorane vom 15.August .bis 15.März.in der Zeit von 1,5 Stunden vor Sonnenaufgang bis 1,5 Stunden nach Sonnenuntergang in einem Umkreis von 250 Metern um fischereiwirtschaftlich genutzte Gewässer nur von Jägern erlegt werden, die von den Fischereirechteinhabern darum gebeten wurden. Diese Verordnungen mögen vielen Anglern als sehr pedantisch erscheinen, sind im Vergleich zu anderen Bundesländern aber sehr fischfreundlich. So hat z. B. Berlin keine Kormoranverordnung, sodass hier gar nichts gegen die Vögel unternommen wird, was voll und ganz im Sinne der Gutmenschen ist.